Das Problem der Zeit

Das Problem der "Zeit" dargestellt an zwei Beispielen. Einmal die relativ kurze Zeit des Tastenniederdrückens und ein anderes Mal in Form von 100 Jahren alten Orgelpfeifen, die, wenn sie einmal diese Zeiteinheit überrundet haben, irgendwie immer gut klingen...

Das Problem der Zeit im Orgelbau (Mikro-Makrokosmos): ich hatte mit der Problematik der mechanischen Kegel-Windladen zwei interessante Diskussionen per mail und bin belehrt worden, dass es durchaus möglich ist, Vorzüge der mechanischen Kegellade bei Interpretation von Orgelmusik geltend zu machen. Ich selbst habe das auch in Nieder-Roden immer wieder feststellen können. Es wird aber in Anbetracht der sehr kurzen Zeiteinheiten, die dem Organisten während dem Musizieren zur Verfügung stehen, wahrscheinlich nur temporär gelingen, dies nach außen zu tragen. Inwieweit das Ganze konstruiert und suggestiv an den Hörer herangetragen werden kann, soll nicht weiter diskutiert werden, denn das öffnet Räume für "Geschwätz".
Ein anderes ist der große Zeitabstand von 100 oder 150 Jahren. Die Wissenschaften arbeiten bei ihren Experimenten mit geringen Zeiteinheiten. Zum Beispiel bei Wetter- oder Wahlprognosen können aus geringen Statistikeinheiten hervorragende Voraussagen für den nächsten oder übernächsten Tag gemacht werden. Über drei Tage hinaus, da wird es schwierig. Und bei Jahren gibt es überhaupt keine Wahrscheinlichkeit mehr, die berechenbar wäre. Wir haben also hier Wissenschaft, die im kleinen Zeitbereich ganz anständige Resultate erbringt. Als Orgelbauer haben wir es aber im Bau und Rekonstruktion mit Werken zu tun die wesentlich älter sind und hier scheitert die Physik kläglich. Das Nachbauen eines 100 Jahre alten Principal 8' würde auf Grundlagen der Fraunhofer Physik einen Jammer ergeben, der nicht weiter zu diskutiert werden braucht. Wir können heute z.B. den Beweis erbringen, dass ein Bourdon aus alten Pfeifenbrettern gezimmert in einer plausiblen Mensur exakt wie ein 100 Jahre altes Register klingt. Mit neuen Holzbretter gelingt dies nicht. Egal wie und wann sie bei Vollmond geschlagen werden. Da diese Möglichkeit bei Zinnpfeifen nicht besteht, und heute gefertigte Zinnpfeifen elementar schlechter klingen als alte Zinnpfeifen, haben wir ein Problem, das zur Klärung aufruft. Besonders auffällig ist dieser Zeitunterschied bei Principalpfeifen. Die Auffassung eines amerikanischen Architekten, dass die Molekularstruktur von Material sich in den Jahren ändert und akustisch veränderte Strukturen aufweist, scheint schlüssig, kann aber wissenschaftlich nicht erhärtet werden - weil das Problem der langen Zeiteinheit dazwischen tritt, die nicht mehr im Experimentierlabor auf die Streckbank gezwungen werden kann. Denn wie wollte man bei einem Stück Zinn die Einwirkung von 120 Jahren im Labor simulieren und messen? Und beim alten Material haben wir nicht die Struktur der Ausgangsbedingung die man mit dem heutigen Zustand vergleichen könnte. (gwm)



Zu dem Artikel von D.Drilo "Spieltechnische Aspekte
bei mechanischen Registerkanzellenladen" im ARS ORGANI 3/2010, möchte ich ein paar Anmerkungen machen. Der Artikel ist sehr gut, und es ist wirklich Zeit, dass dieses Thema einmal bei den Orgelfreunden, die sich ja als Nachfolge zur Orgelbewegung verstehen oder verstanden, erschienen ist. Im Großen und Ganzem gebe ich Drilo recht, dass mechanische Kegelladen verschiedene Möglichkeiten der Pfeifen-Ansprache bereitstellen, was wir bei der Schleiflade deswegen nicht haben, weil dort das Ventil vom Wind endgültig aufgerissen wird (Druckpunkt). Aber das Entscheidende ist, dass alle mir bekannten und befragten Organisten einschlägig mitgeteilt haben, dass es musikalisch nicht genutzt werden kann. Ein ganz intensives Gespräch in dieser Sache führte ich mit Heinz Wunderlich, der zwar lobend erkannte, dass Kegelladen das dynamische Ansprechen ermöglichen. Eine Nutzung aber schloss er kategorisch aus. Ganz allgemein dürfte das weiche Ansprechen auf diesen Registerzanzellenladen (ganz anders übrigens als es Fraunhofer& Co je messend bemerkt haben) dem menschlichen Ohr entgegenkommen, weswegen mechanische Kegelladen bei zurückhaltend intonierten Stimmen wohlig angenommen werden.
Es ist nicht richtig, dass bei Walcker um 1900 die letzten mechanischen Kegelladen gebaut wurden. Es sind immer wieder bis 1930 mechanische Kegelladen gebaut worden, so u.a. nach Costa Rica und im weiteren Südamerika.
Es gibt in diesem Artikel zwei Fußnoten in Bezug auf die Ulmer Münsterorgel, bei dem der Bau (1855) und Abbruch (1967) in einem Atemzug genannt werden. Das ist unzulässig und falsch. Der gewaltige Umbau dieser Orgel von den Söhnen (abgeschlossen etwa 1896) war durch Baumaßnahmen der Kirche notwendig geworden und hat das Werk EFW grundsätzlich in Klang und Bauart so verändert, dass man danach nur noch von einer spätromantischen Orgel reden sollte. Gerade dieses Instrument (mechanische Orgel und mit Barkern von EFW) war wegen seiner Schwergängigkeit berüchtig. Dass der Abbau dieser Orgel 1967 heute als schwerwiegender Fehler erscheint, ist verständlich. Aber immerhin sind rund 70% der Pfeifen in die neue Orgel eingeflossen, während in Hamburg Michaelis so gut wie nichts mehr drin ist. Das sei nur so dahingestellt, um zwei Abbruchsituationen zu vergleichen. (bei der einen war ich leider temporär im ersten Lehrjahr beteiligt) (gwm)

Grundlagen der klassischen italienischen Orgel und ihre Parallelen in Santa Cecilia ein neuer AeolineBlog, der heute zustande kam, nachdem mir das vorzügliche Buch "Ferdinand Klinda - Orgelregistrierung, Klanggestaltung der Orgelmusik", ein Werk, das jeder gute Organist gelesen haben sollte, in die Hände fiel. Und meine Nachforschungen nach italienischer Orgel und Klanggestalt wurde hier sehr reichlich belohnt. Besonders der Umstand, dass es Klinda als Einziger geschafft hat, dieses Thema grundlegend und klar darzubieten. Vielleicht werde ich noch im Laufe der nächsten Tage dieses Thema ergänzen mit Registrieranweisungen für diese klassische italienische Orgel, da es doch sehr viele neue und hochinteressante Aspekte enthält, die uns hierzulande kaum bekannt sind. (Diesen wertvollen Beitrag haben wir auch in etwas besserer Lesbarkeit auf unseren Seiten Italien/Ferdinand Klinda untergebracht)

10 Jahre Schlimbach in Nieder-Roden.
Ja es ist bereits ein Dezennium her, als wir Gelegenheit bekamen, die historische Schlimbach-Orgel in Nieder-Roden zu richten. Dank eines großartigen Pfarrers und einer begeisterten 5köpfigen Organistencrew, die uns mit der Verantwortung betrauten, konnten wir diese wahrlich viel gespielte Orgel wieder instand setzen. Die Arbeit an dem romantischen Instrument mit mechanischen Kegelladen hat unheimlich viel Freude gemacht und wir waren seit der Restaurierung genau 9 mal zur Wartung. Nun wird bei unserem nächsten Heimaturlaub Mitte November die 10 voll gemacht, um nächstes Jahr eine etwas ausgiebigere Arbeit vorzunehmen, die wegen Heizungsschäden aufgetaucht ist. Hier jedenfalls kann man alles Notwendige dazu sehen und hören.


Sehr geehrter Herr Walcker, soeben habe ich Ihren Artikel "Orgeln aus Papier" gelesen. Einfach großartig. Ich wünsche mir, dass solche Literatur öfters im Orgelbau erscheinen sollte, anstelle der biederen Hausmannskost im Ars Organi oder schlimmer noch auf vielen Internetseiten. (..) J.R.