Orgelgehäusestile im 19.JH

0239 Essweiler

Die vielfachen Orgelgehäusestile von 1850 bis etwa 1900 sind einesteils sehr einfache Gestaltungen, die sich an Romanik und Gotik orientiert haben, oft aber auch versteht man die Motive, die dahinter stehen nicht auf Anhieb.
Man könnte es sich einfach machen und diese "Stilvielfalt" als Eklektizismus abtun, was auf ein mangels schöpferischer Kraft erfolgtes Zurückgreifen auf bewährte Formen hinausliefe. Aber mir scheinen die neuromanischen Gestaltungen tausendfacher Dorforgeln gelungen. Sie bilden oft einen harmonischen Glanzpunkt in der Kirche und sie weisen es von sich, irgendeine Bedeutung in Baustil haben zu wollen. Sowenig das ein heutiger Steinway-Flügel tut.
Dasselbe geschieht bei den kleinen neugotischen Dorforgeln oder den neubarocken Orgeln dieser Zeit, die alle in sich irgendwo bescheiden und zurückhaltend in Ornament und Form sind.
Jawohl, es scheint mir sicher, dass bei Walcker mit den neuromanischen Gehäusen, man betrachte den Entwurf für Essweiler genauer, eine Serienproduktion für das boomende Bismarck-Reich geliefert hat.
(Das Buch von Hermann Fischer - Theodor Wohnhaas " Georg Friedrich Steinmeyer und sein Werk", war mir bei einigen Fragen von Stilelementen und Dekor sehr hilfreich)

Neuromanisch : abgeleitet von "romanisch", also einer Stilbezeichnung die erst im 19.Jahrhundert aufkam. Bis etwa 1830 gab es in Deutschland anstelle der Bezeichnung "Romanik" andere Begriffe wie vorgotisch, altdeutsch, neugriechisch, byzantinisch (weswegen bei Walcker die Bezeichnung "neubyzantinisch" für seine neoromanisch gestalteten Dorforgeln üblich war). In Frankreich war de Gervielle der erste, der gegen 1820 "romanisch" für die Baukunst des alten Rom(Rundbogen mit Säule) verwendete. Die Zeit der Romanik in Deutschland fand von etwa 1000-1300 statt.
Stilelemente der Neuromanik sind: Rundbogenfelder mit glatten Lisenen, Pilastern oder aufgelegten Säulchen; Kapiälwürfel-kelche, Pilasterkapitäle, Rankenkapitäle, Rundbogenfries.
Dekor: Vierpaß, Rosetten, Mittelkreuz, Rankenwerk mit Blattlaub

Beispiel aus Walcker Opus

Neurenaissance : Wiedergeburt, Begriff von Vasari 1550 in seinen Lebensbeschreibungen "rinascità". Gemeint ist die große, das Mittelalter überwindende Bewegung der italienischen Kunst. Auch dieser Begriff wurde in Deutschland erst 1820 festgemacht und vor allem durch Jakob Burckhardt in seinem Hauptwerk "Die Kultur der Renaissance in Italien" 1860 eingeführt. Ganz grob kann die Renaissance in Italien von 1420-1520/30 einsortiert werden.
Stilelemente der Neurenaissance: Rundbogenfelder auch mit Schleierbrettern, breite Lisenen oder Pilaster, breiter Fries mit Gebälk, meist korinthische Blattlaubkapitäle oder Kompositkapitäle, gebrochene Giebelaufsätze in dreieck-Segmentbogenform.
Dekor: Laub-Rankenschnitzerei, Renaissanceornamente, Vasen, Pyramiden

Beispiel

Die Walcker-Orgel St. Petri in Petersburg Das Beispiel ist hier die Dalstein-Haerpfer-Orgel in Hayange, weil wir in Deutschland diesen Hang zur Monumalität bei kleineren Orgel nicht oft finden. Es ist außderdem bei dem Stilgemisch des 19.JH nicht einfach Neo-Renaissance von Neo-Romanik oder gar Neo-Byzantismus, was ein farbenprächtigeres Romanik sein soll, zu unterscheiden. Hier in Hayange handelt es sich um eine blanke Fassade, da die beiden Schwellwerk sowieso in eigenem Kasten stehen, war ein geschlossenes Gehäuse nicht so wichtig.
 

Neuklassizistik: Die Kunstwissenschaft versteht darunter zwei verschiedene Erscheinungen: a) Richtung der europ. Baukunst, Mitte d.16.JH in Oberitalien, die von Andrea ausging (Palladianischer Klassizismus) und b) Stilstufe der europ. Kunst von etwa 1770-1830 (auch Neoklassizismus genannt), als Gegenbewegung zu Barock und Rokoko, zurück zur edlen, klaren Form. Eine Erneuerung im Sinne der Antike. In Deutschland vor allem Schinkel.
Orgel Frankfurt Paulskirche von EFW.
Stilelemente: Rundbogenfelder mit kanellierten Pilastern, dorische oder korinthische Kapitäle, Gebälk mit breitem Fries, Flachgiebel,
Dekor: Lorbeerkränze, Zahnschnitt, Mäander, eckige Vasen

Gotoromanik: Nebeneinander von romanischen und gotischen Maßwerk.
Segmentbogenfelder, Zackenfries mit schmalem Gesims, Lisenen, fialartig verlängert mit kreuzförmigem Abschluß.

Neugotik: Der Begriff Gotik, der von Ghiberti Mitte des 15.JH Verwendung fand in fehlerhaft gedeuteter Historie des Mittelalters, war jedoch bei den Italienern immer der Inbegriff für Geschmacklosigkeit, Überladenheit, für das Abstruse ganz allgemein in der Kunst. Erst mit der Deutschen Romantik 1820 (auch Goethe) wurde "Gotik" vom Odium des Barbarischen befreit.
Stilelemente: Spitzbogenfelder bis Tudorbogen, Lisenen mit Säulchen, Spitzgiebel, Fialen mit Krabben und Kreuzblumen, gotische Wasserschlag-Gesimse mit Schräge und Hohlkehle, gotische Blattkapitele
Dekor: Maßwerk aus Frei-und Vierpaß, Fischblasen, krabben, besondere Form die Zinnengotik mit Spitzbogenfe3ldern und waagrechtem Abschluß durch Zinnenkranz

Neubarock: Barock ist ein Stil der europ. Kunst von 1600-1750. Der Begriff ist abgeleitet von dem portugiesischen "barocco" unregelmässige Perle. Wurde ab etwa 1850 zur Bezeichnung des Stils, zunächst in Baukunst, später in Dichtung, Musik, Philosophie übertragen. Heute gilt der Barock als letzter in der Reihe europäischer Kunststile, der von schöpferischen Kräften durchwaltet ist. Merkmal des Barock könnte sein: schwellende Bewegung aller Formen, die nicht Ausdruck von Harmonie sind, sondern von Kraft, die danach drängen ineinander überzugehen.
Stilelemente: Pfeifenfelder mit gescheifter Umrahmung, Vorhangboden, Gebälk aufgeschweift, gebrochen, volutenförmig eingerollt, Mittelgiebel oft auszugartig überhöht, auf Giebelfläche Schnitzereien, Pilaster glatt oder gewunden, Rechteckfelder mit geschnitzten Schleiern
Dekor: Laubwerk (Akanthus), Rokoko Schweif-und Muschelwerk, Vasen,

Jugendstil: Stilströmung der deutschen Kunst etwa 1895-1905, in erster Linie auf dem Gebiete des Kunstgewerbes. Der Name "Jugendstil" kam kurz vor 1900 auf und steht mit der von O. Eckermann geliefertem dekorativen Ausstattung der Zeitschrift "Jugend" in Zusammenhang. Dieser Stil war eine Reaktion auf die Nachahmung historischer Stile, er nahm die Pflanze wieder zur Grundlage ornamentalen Schaffens.
Stilelemente: Wegfall der Gesimse und Pfeifenfeld-Umrahmungen, nur die Lisenen mit stegartigen Querverbindungen bleiben übrig. die Pfeifenfelder formen sich aus der natürlichen Länge der Pfeifen, wie beim Freipfeifenprospekt. Rankenornamentik und Maßwerk gibt es.
Dekor: Stilisierte Ranken, rauten- und broschenförmige Verzierungen auf einzelne Pfeifen aufgebracht, Festons quer über die Prospektpfeifen, geometrisch ornamentierte Holzpfeifen. Neugotische Stilelemente.