Die Orgel danach

Die Orgel danach..

Neues dynamische Orgelkonzept sucht Komponisten, R

Zunächst stelle ich die verbrauchten - erledigten Orgelkonzepte dar, am Ende folgt eine Präzisierung der Orgel danach... Orgelbau kann so wieder in den Mittelpunkt von Musikschaffen geraten. Das einzige wandelbare Instrument, die Orgel, sie lebt nur, wenn wir sie ihrer Wandelbarkeit nicht berauben.

Die historische Orgel,
das ist die Barock-Orgel, die romantische Orgel, die Kompromiss-Orgel, die verpatzte Orgel oder das Ende der Modernen Orgel. Sinzig als die zu Ende gedachte Barockorgel. Eigentlich ist diese „historische“ Orgel jenes Instrument, welches klar und eindeutig einer bestimmten Zeitepoche zugeordnet werden kann. Von der heutigen Gegenwart aus ist dieses „Überblicken“ über das rückwärtige Gebirge „Historie“ deswegen so einfach und geradlinig, da wir seit dreißig Jahren und mehr, keinerlei Anstrengungen mehr unternehmen eine „Moderne Orgel“ oder ein zeitgenössisches Instrument zu kreiiren: uns fehlen also die Hinternisse, die Berge und Atmosphären beim Zurückblicken, die unseren Blick stören würden. Wir haben eine glatte, freie Sicht nach hinten, und das ist beängstigend.

50 Jahre Orgelbau ohne weitere Entwicklung, ohne Drängen nach Neuer Musik und Neuen Klängen: hier eigentlich könnte man stehen bleiben und sagen, „eine solche Orgel ist an ihrem eigenen, statischen Klang erstickt“. Wären da nicht einige Narren, die Handzettel verteilten mit Aufschriften wie „Innovationen ohne Ende“, „computergesteuerte Notenblättermaschine“, „der beste Bach ist der vom Computer durchgestylte Bach“, „Die Orgel als gelöstes Rätsel“.

Ich möchte dieses Problem, obwohl es nicht direkt Thema dieses Aufsatzes ist, kurz und eindeutig behandeln: „Die historische Orgel ist ein Instrument, das durch die heutige Technik und hier im Besonderen durch die Computertechnik eliminiert wurde“. Um diesen Satz deutlich zu machen zitiere ich aus „Masken des Fortschritts – zu einigen aktuellen Tendenzen in der neuen Musik“ von Max Nyffeler : „Fortschritt essen Töne auf – Die Triosonaten der Gegenwart sind die Computerkompositionen. Die Computerindustrie ist neben der Rüstung, mit der sie nicht nur von der Wortwahl her zu tun hat, heute der einzige Ort, an dem der in Verruf geratene Fortschrittskrieg noch ungehindert tobt. Das färbt auch auf die Musik ab, die mit diesen Geräten gemacht wird. (…) Wenn ein neues  Programm auf  den Markt kommt, das in der Lage ist, Lindenmayer-Systeme und Chaosstrukturen höherer Ordnung zu generieren, schreiben Dutzende junger Komponisten nach Lindenmayer-Systemen und Chaosstrukturen höherer Ordnung. Nur wenige Komponisten gelingt  ein Stück, das auch beim dritten Hören noch frisch wirkt. Es sind in der Regel diejenigen, die sich als erste mit der neuen Materie befasst habe. Erst der Kampf mit ihr hat sich im Werk als positive Qualität nieder geschlagen. Die mittels Computer erzeugten Produkte werden vom technischen Fortschritt laufend aufgefressen.“ (Ende Zitat).

Die gegenwärtige Ästhetik überlebt das morgige Update nicht. Orientierung am Computer verhindert damit „Langsamkeit“, „Inhalt-Form-Auseinandersetzung“, „menschlicher Wärme“ und fördert umgekehrt „technische Glätte“ und „künstlerisches Marketingverhalten“. Die fortschrittliche Orgel also die „Marktorgel“ ohne künstlerischen Anspruch aber mit Anspruch auf Handwerklichkeit, dies würde ich als die maskierte Orgel bezeichnen, da sie vorgibt religiöse Aufgaben zu erfüllen, aber mit anderen Motiven gebaut wurde.

Diese Marktorgeln sind direkt ersetzbar durch Klangkopien wie Orgel CD’s. Solcherlei Klangscheiben bringen uns die Orgeln samt Kathedrale ins Wohnzimmer, und damit schälen sie die schützende Haut der Religion ab. (wie unlängst von mir kritisiert an einem Aufsatz in der ARS ORGANI, wo der Schreiber, ein Orgelprofessor sagt: „ es sei höchste Zeit, darüber nachzudenken, wie das kulturelle Erbe der Orgel und ihrer Musik in Zeiten absterbender Kirchen bewahrt werden kann.“ Die durchaus vernünftige Auffassung, man kann keine Orgel bauen ohne Auseinandersetzung mit Religion und ohne Auseinandersetzung mit deren Klang, was letztendlich dasselbe ist, wenn man metaphysisch denkt, wird hier in diesem genannten Aufsatz pragmatisch ausgehebelt. Nicht einmal das anstelle der Religion gesetzte ästhetische Gefühl wird da beschworen, am Ende ist da Nichts mehr, absolut nichts.

Die mythologische Orgel, das ist u.a. die Orgel in Halberstadt, wo Zeit, Raum und Orgel in anderen Dimensionen gehandelt werden. Die Orgel ist hier eine wachsende, oder eine sich am Musikstück anpassende Orgel. Ohne Zweifel etwas Neues. Diese Orgel hat Aura zurückerobert und sie ist damit nicht mehr durch Plagiate oder durch CD’s zu ersetzen. Diese Orgel ist nicht mehr technisch reproduzierbar, da sie direkt mit dem Musikstück und dem hier gesetzten Zeit-Tempo verwoben ist. Diese Orgel ist aber auch „klanglos“ und sie ist über Kanon und jeglichem menschlichen Maß gesetzt: damit tritt diese Orgel aus der menschlichen und sozialen Sphäre hinaus in einen göttlichen Kontext, der vielleicht, wenn die ersten Neugierigen wieder ihren Weg gehen, eine eigene Dynamik annimmt und Jahrhunderte klammert, ähnlich dem Bau großer deutscher Kathedralen. Diese Orgel hat daher tiefen Bezug zum europäischen Mittelalter und seinem Schaffen, sie weist direkt auf diese Zeit zurück

Eine andere Form einer solchen Orgel wurde von mir in „Die Federorgel“ beschrieben. Hier ist es eine Orgel, die im kleinsten zeitlich fassbaren Rahmen auftritt : nur für ein Konzert. Während dieses Konzerts löst sich die Orgel mittels Federn auf. Ikarus und die federschreibende Zunft stehen hier Pate. Das Auflösende, das nicht mehr „wertSein“, das Einmalsein, alles tritt hier ebenfalls auf wie im vorigen Beispiel benannt : Rückeroberung der Aura, des Einmaligen, des nicht mehr Reproduzierbaren. Hinzu kommt hier etwas, das sich zwischen Wirklichkeit (das heißt wo Wirkung stattfindet) und Erscheinung (das heißt, ich bin mir nicht sicher, ob es Wirkung hat) abspielt.

Der heutige Orgelmusikhörer ist tausendfach komplexer und komplizierter als es der Barockmensch um Bach herum war. Außerdem traut er seinem Glauben nie. Er traut sich selbst nicht. Er weiß nicht, ob er selbst ist und was sein „ich“ ist. Wie also sollte er irgendetwas wissen über Glauben und Klang? Sein Wissen und sein Glauben ist durch die Wissenschaft und Philosophie von 300 Jahren rigoros verdorben worden. Den letzten Begriff lasse ich für diejenigen stehen, die der Auffassung sind, dass Barockmusik den reinsten Quellen entstammt.

Vielleicht gehören zu diesen mythologischen Orgeln auch seltsame und seltene Orgeln dazu wie zum Beispiel die „Prätoriusorgel“ oder die „Arp Schnitger-Orgel im Hamburg St. Jacobi“ und andere.

Mit diesen mythologischen Orgeln tritt der rituelle Charakter der Orgel und ihrer Musik, der allen anderen Orgeln unserer Neuzeit fehlt, wieder auf. Diese Orgeln erfüllen dadurch wieder eine neue oder alte Aufgabe, so wie es die ersten Orgeln getan haben, indem sie Religion mit Musik vereinen. Walter Benjamin schreibt in „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (Suhrkamp, 1968, 2.Auflage): Das Hier und Jetzt des Kunstwerks, das seine Autorität und Echtheit ausmacht, geht durch die Reproduktion verloren. (Ende Zitat) Und wir sehen, dass diese Orgeln, wie ich sie hier zu beschreiben versuche, diese Autorität und Echtheit und damit eine Qualität bewahren, wie wir das bei anderen Orgeln eben durch die Reproduzierbarkeit ihrer Musik oder schlimmer noch durch die Kopie ihrer selbst, nicht mehr auffinden können. „Der Verfall der Aura“, ebenfalls ein Begriff von Walter Benjamin, erläutert im gleichen Aufsatz, wird geprägt dadurch, indem das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ausgelöst wird. Anstatt dem einmaligen Vorkommen wird ein massenweises gesetzt. Das Einmalige, immer irgendwie auch Symbol für den „Einen Gott“ wird also reproduzierbar, sprich es wird ausgehöhlt, entwertet, verunstaltet.

 

Die Effekten-Orgel soll eine Orgel sein deren primäres Ziel „Markt“ und  damit „Öffentlichkeit“ ist. Alle Kopier-Orgeln von Silbermann bis Schnitger gehören hierher. So wie alle Orgeln hierher gehören, deren Baumotiv primär die Erregung öffentlichen Interesses ist. Oder eine Orgel die sich am „Markt“ orientiert anstatt „Kunst sein zu wollen“, was immer man auch unter diesem letztgenannten Motiv verstehen mag. Der heutige Orgelbau ist prinzipiell ein „Effekten-Orgelbau“: laut, marktschreierisch, inhaltsleer, klang- und stillos. Beliebig. Es fällt keinem Orgelbauunternehmen schwer sich heute romantischen Klängen der vorpneumatischen Phase anzunehmen und drei Orgeln weiter wird ein putziges Barockgehäuse mit Pfeifen drin gefertigt und als neuester Schrei angebiedert. Oder, schlimmer noch, es wird ein „Schwarzwälder Bauernschrank“ gefertigt, auch mit Pfeifen drin, der am Ende dann mit „abstrakter Kunst“ aufgebügelt wird, mit Kettensägen „der Neuen Wilden“, die in den 70ern gewütet haben, die ausgeblasene Idee kann nun nach der Jahrtausendwende an die Orgel ran, Effekte eben, Fernsehwerbung die ihre pathologischen Wirkungen zeigt.

„Das am "Markt Überleben-müssen“, das Laute des Marktes, die Käuflichkeit der Ware und der Verkäufer, die Prostitution,  all dies ist uns heute so in Fleisch und Blut übergegangen, dass man sich verwundert die Augen reibt, wenn man dies mit bewusst vorgenommenem Abstande diagnostiziert, wenn man es seziert und ganz separat einmal wieder neu betrachtet, indem man mit der Fackel in der Hand sich ins Gesicht leuchtet. „Kann man schöne und klingende Orgel bauen?“ unter diesen Umständen, „ja kann man überhaupt Romantische Orgeln bauen“, leuchtende Klänge sich erarbeiten, strahlende Visionen sich ansichtig werden unter diesem „Marktdruck“? Dies frage ich mich immer wieder, und ich komme wieder und wieder zur gleichen Feststellung, dass gerade der Markt und das Verkaufenmüssen um jeden Preis ein Symptom für den Klang unserer heutigen Orgeln darstellt.

Dieser Orgelklang hat etwas „Markthallenmäßiges“ da hört man oft einen roten Kopf heraus vom vielen Schreien, eine Stentorgamba die mir ins Ohr bläst: verkaufe dich besser!

Effekt unterscheidet sich elementar vom Wesen dadurch, dass der Erbauer nur einen kleinen Zipfel seiner Selbst  ins Produkt einfließen lässt, während etwas Wesentliches mit Identifikation zu tun hat, was heute mit Begriffen der Authentizität bezeichnet wird (irgendwo in „organ“ hat ein Göteborgscher Wissenschaftler sich darüber ausgelassen, was ich ganz ansprechend fand) Allerdings ist die Frage nach Authentizität keine künstlerische Frage, wie es der Komponist Wolfgang Rihm in einer Schrift sehr richtig vermerkte, denn der Künstler braucht sich über seine Arbeit nicht rückzuversichern! Hier also die alte Frage, inwiefern der Orgelbauer Künstler ist.

In den 60er Jahren hat man versucht das Orgelbauerhandwerk als Kunsthandwerk zu etablieren. Alles dies waren Wege heilloser Verzweiflung. Hätte nur ein einziger Orgelbauer auf Joseph Beuys gehört: „Jeder Mensch ist ein Künstler“, und diese Aussage richtig interpretiert, dann hätte Orgelbau schon in jenen sechziger Jahren ein eigenes Reich von Kunst und Stille initiieren können. Aber davor waren die grobschlächtigen Orgelingenieure (hier ist mir nun eine Formel von Emile Rupp untergerutsch)  weit entfernt, denn klar ist, dass Orgelbau sehr wohl Kunst sein kann, wenn die entsprechenden Menschen dahinter aufleuchten. Nie aber ist Orgelbau Kunst, wenn Brücken- und Maschinenbau im Vordergrund stehen, und nach all diesem Lärm zeitweise daran gedacht wird auch etwas Klang daraus zu fabrizieren.

 

Mein Hauptanliegen dieser kleinen Streitschrift ist: Die Orgel danach. Oder die Werdende Orgel, oder wer will, die unschuldige Orgel. Wichtig war mir, im Vorfeld zu klären, dass es sich hierbei weder um eine historische Orgel, noch um eine mythologische Orgel und ganz bestimmt nicht um eine Effekten-Orgel handelt. Wer auf Anregung durch diese Schrift eine solche Orgel bauen will, der sollte dies tun jenseits aller Marktplätze und Marktschreier, er sollte es tun „as slow as possible“ und er sollte es tun in Auseinandersetzung mit Klang und Religion, wie ein (mittel)alter Alchimist.

Empfehlungen sind dies, Deutungen in Richtungen die weit genug von bereits begangenen Wegen sind, aber immer noch haben wir es mit der Orgel zu tun, und nicht mit einem Computerspielzeug. Hier also einige alchimystische Beigaben zu einer Orgel danach, und nichts weiter. Kein Stein der Weisen soll dies sein. Aber es ist angestrebt mit Orgelklängen zu Heilen, wie das so schön in Petersburg geschah 1904 bei der Walcker-Orgel, die ein Arzt zur Behandlung von schwangeren Frauen verwendete.

Ich glaube es ist eine Orgel die weiterleben könnte und die viele Menschen neu begeistern könnte. Eine Orgel die erzählen und sprechen kann, vielleicht kann sie am Ende gar lachen. Ich habe weitgehend technische Spielereien mit Computer aus dieser „Orgel danach“ ausgeklammert, da ich persönlich die Mechanisierung und Steuerung einer Orgel über den Computer als eine schädliche Mechanik empfinde.

Rund zehn Jahre habe ich mich intensiv mit der Computersteuerung beschäftigt und auch sehr viele Computer selbst gebaut und programmiert, und mir ist natürlich bewusst, dass Computersteuerungen in den nächsten Jahrzehnten ungeheure Entwicklungen durchmachen werden, so dass wir am Ende vielleicht nicht mehr unterscheiden können, was digital und was analog ist. Aber mein Instinkt sagt mir, dass diese Technik am Menschen vorbeigeht, an seinen innersten Bedürfnissen nach Sinnlichkeit, nach Natur, Stille, Frieden, Gelassenheit. Naturtöne, Naturfarben, Aura, Ganzheit, Erlösung, all dies gibt uns in geringen Dosen weit aus mehr Freude und Glück, als es technische Substrate jeglicher Art je vermögen.

Eine Steigerung der Lebensintensität erreichen wir letztendlich nur unter Auslassung von Technik, nie unter den Prämissen die Technik hochzufahren so weit es geht.

Wer meint, wir haben heute zum Beispiel durch die hochtechnisierte Medizin ein Höchstmaß an Glück für Viele geschaffen, irrt. Dieser Irrtum ist direkt anhand der Schriften von Epikur nachzuweisen.

Wir sind heute nicht mehr in der Lage von dieser Technik zu lassen, dies gebe ich gerne zu, so wie ich jedem Rauschgiftsüchtigem seine täglich Ration Stoff zugestehe, mit der er aber kaum noch ein normales Tagesbewusstsein erreicht: einmal an der Spritze, und er hat dafür zu kämpfen Allerweltsalltag zu bekommen, von Glücksgefühl ist dann nie mehr die Rede.

Theodor W. Adorno schreibt in seinen „Minima Moralia, Suhrkamp 1951“ : Karl Kraus tat recht daran, sein Stück „Die letzten Tage der Menschheit zu nennen“. Was heute geschieht (1950), müsste „nach Weltuntergang“ heißen. (Ende Zitat) Was würde Adorno heute im Jahre 2004 sagen, nach Betrachtung solcher Filme wie „Pulp Fiction“, „Taxi driver“, „Blue velvet“ und der heutigen politischen Lage? Würde er hier nicht konstatieren, die gesamte Menschheit befände sich bereits in der Hölle, chancenlos ausgeliefert einem tödlichen Labyrinth ohne jegliche Hoffnung?

Wir müssen, wenn wir Analogien ziehen und aus Historien unsere Schlüsse ableiten immer weiter arbeiten an einer Fiktion oder an einer inneren Botschaft, was man früher „Ruf“ nannte und worauf sich der Begriff „Beruf“ gründete. Wir müssen nach Sternen sehen und wir sind dann Künstler in unserem  Fach, wenn wir mehr sehen, als da wirklich ist. Denn die Wirklichkeit ist nur ein Spielball, der geworfen werden will. Das reine Schauen bringt kein Spiel zuwege. Und dieses reine Schauen unterstelle ich solchen Philosophen wie Adorno, die jeglicher Metaphysik den Rücken gekehrt haben.

 




Die Orgel danach.., das heißt eine Orgel nach der Moderne, das kann nur eine dynamische Orgel sein, also die „nicht festgestellte Orgel“. Seit einigen Jahren habe ich mir hierzu verschiedene Varianten an Orgeln und Modellen erprobt, die ich hier erstmals vorstelle. Dazu sind einige maßstablose Handskizzen, welche den technischen Aufbau der Idee etwas erläutern.Eine Orgel mit dynamischer Stimmung

Wie man an dieser Skizze erkennt, ist es relativ einfach möglich an einem Holzpfeifenregister eine vom Spieltisch dynamisch veränderbare  Stimmung einzurichten. Hierzu ist lediglich erforderlich eine einfache Klappe an die offene Holzpfeife anzubringen, um damit Stimmungsänderung vom Spieltisch aus zu bewerkstelligen. Auf meiner Skizze wurde diese Mechanik mit Rollen- und Zugmechanik dargestellt, da die Untersetzung hier relativ einfach realisiert werden kann. Selbstverständlich sind auch andere Wege möglich.

a)      der einfachste Fall wäre nur eine einzige Holz-Stimmoktave für den Organisten einzurichten, der damit vom Spieltisch aus experimentieren kann und eine Vorgabe seiner Stimmungsvorstellung dem Orgelbauer übergeben kann, der mit dieser Stimm-Oktave dann die komplette Orgel stimmt. Hierzu wären also 12 mechanische Drehschalter im Spieltisch einzubauen und eine Mechanik an 12 bestehenden Pfeifen.

b)      Natürlich ist das Ganze relativ einfach erweiterbar auf ein komplettes Holzregister 4 oder besser 8 Fuss. Es befinden sich dann über den Tasten des Manuals kleine Zügchen: Auf Zug wird die entsprechende Pfeife höher gestimmt, zurückgeschoben wird sie tiefer. Wird die Mechanik mit Seilzug gemacht, so kommt man mit halber Klaviaturteilung und damit rund 350mm breiter Traktur zurecht. Also ein recht kleiner Eingriff in einen bestehenden Spieltisch und am bestehenden Pfeifenmaterial. Die Mechanik muss sehr akurat gefertigt werden, auch wegen der Übersetzung der geringen Reise des Zügchens am Spieltisch zur großen Reise der Stimmklappe an der Pfeife.

 




2. Dynamische Klaviatur

a)      Die Auflage der Manualklaviaturtasten vorne (Bild_02) auf einer Ellipse, die mit Filz garniert ist,



ermöglich durch Drehen dieser Ellipse, dass die Tastenreise vergrößert und verkleinert werden kann. Eigene Versuche haben ergeben, dass dies problemlos möglich ist im Bereich von 8 – 20 mm Tastenreise. Diese Dynamische Klaviatur ist für die nachfolgend beschriebene dynamische Kegellade erforderlich. In Verbindung mit selbstregulierender Traktur (hier nur der Hinweis, dass es sich um eine selbstregulierende Traktur handeln muss, die mit Keilbälgen stramm gehalten wird, und dadurch nie ein Tastenleerlauf auftritt) ist es in der Tat auch bei jeder einfachen Schleiflade möglich die eingestellte Tastenreise bis zum Tonventil durchzuführen. Das heißt, bei 20mm eingestellter Tastenreise und Tastenübersetzung von 9:11 findet tatsächlich eine Ventilreise von 16 mm statt. Der Hauptgedanke richtet sich aber hier nicht auf die Schleiflade sondern an die später beschriebene dynamische Kegellade, wo große Reisen des Ventils ungeahnte Klänge bereitstellen.

b)      Es besteht die Möglichkeit einzelne Tastenbereiche mit unterschiedlicher Tastenreise vom Spieltisch aus einzurichten : damit hat der Organist die Möglichkeit im Bassbereich mehr Reise zu geben als im Diskant. Die unter 2a) angegebene Auflageleiste wird einfach z.B. bei c0 getrennt.

c)      Verändert man die Auflage der Manualtasten hinten, so werden beim Hochfahren Töne erklingen, während beim Hinunterfahren „Leerreise“ eintritt, welche aber wieder durch die oben beschriebene selbstregulierende Traktur beseitigt wird. Wir verändern dann nur die Schrägstellung der Tasten. Im ersten Fall erzeugen wird Cluster.

 

3. Die sprechende Orgel, diese Orgel, oder besser gesagt, die Sprech-Orgelregister, beruhen teilweise auf einer Idee György Ligetis, die von mir weiterverarbeitet und mit neuen Gedanken angereichert wurde.

a)      der gesuchte Intonationsmangel: während seiner Intonationsarbeit sucht der Orgelbauer weitgehend alle möglichen Geräusche zu beseitigen, die den reinen Ton stören. Hier nun ist es genau umgekehrt.  Bei der sprechenden Orgel  benötigen wir zunächst einmal die Vokale a, e, i, u, o, die wir relativ einfach aus reinen Tönen von Labialpfeifen gewinnen können. Etwas Probleme bereiten dann schon die Zischlaute s, sch, hier benötigen wir rund 6000 Hz, aber derartige Intonation ist an einfachen Labialpfeifen eigentlich kein Problem. Große Probleme dagegen erwarte ich von der Intonation bei w, h. Hier sollte Arbeit mit verschiedenen Kernschrägen. sehr niederen und sehr hohen Aufschnitten und alle Erfahrungen aus der Intonation von romantischen Streichern mit ihren unterschiedlichen Bärten und Stimmvorrichtungen hilfreich sein. Das komplexe Wissen der Orgelbauer aus der Romantik gesehen unter dynamischen Aspekten kann hier ganz erstaunliche neue Geräusch – und Ton- Klänge hervorbringen. Ein einziges Beispiel möchte ich in Form einer Skizze anführen, welches einen dynamischen Rollenbart zeigt, der die Ansprache, das Anblasen der Pfeife begünstigt, aber dann, wenn der Ton steht durch einen an der Pfeife angebrachten Balg weggedreht wird. Sprechen ist eben ein dynamischer Vorgang, gemeinsam mit der Pfeife hat der Sprechende aber den Resonanzraum. Weitere Gedanken und Ideen können sicher durch ein weitergehendes Studium der Phonetik erarbeitet werden.

b)      In vorigen Beispiel nenne ich ein konventionelles labiales Orgelregister, welches nur durch Intonation verändert wird, und somit dem Sprechen, das heißt dem Geräusch näher gebracht wird. Unter diesem Absatz möchte ich ein sprechendes Register vorstellen, das völlig unberührt bleiben kann, aber mit einer mechanischen Vorrichtung ausgestattet wird Es wird klar beim Betrachten dieser Zeichnung, dass hier eine mechanische Abbildung des menschlichen Sprechapparats vorgenommen wurde. Die Zunge befindet sich aber außerhalb, da es technisch so günstiger gemacht werden kann. Eine keilförmige Zunge wird mittels Mechanik, die von Spieltisch aus bedient wird, im Oberlabienbereich über den Kern der Pfeife geführt, wo diese Zunge das Luftband  abschneidet, oder mindestens stark beeinflusst. Verschiedene Versuche haben gezeigt, dass hier ganz außergewöhnliche Klang-Geräuschkombinationen auftreten unter der Voraussetzung, dass diese Zungen sehr exakt und mit sehr „langsamen Reisen“ ausgestattet sind. Ein weiteres Phänomen ist, dass in dem Moment, wo die Zunge in die Nähe des Luftbandes kommt, die Frequenz der Pfeife abnimmt. Und ich denke, dass der Klang unheimlich gewinnt, wenn man gleichzeitig synchron der Winddruck der Pfeife erhöht, was durch meine nachfolgend erläuterte Erfindung leicht bewerkstelligt werden kann.

c)      Die dynamische Kegellade (Bild06)(diese Bild wird bis zur Patenterteilung entfernt) Meines Wissens stellt diese Erfindung die erste Idee dar, ein Ventil direkt an die Pfeifenfußöffnung zu integrieren. Dies ist aber ein unbeabsichtigter Nebeneffekt. Der Hauptaugenmerk ist auf die grenzenlose Dynamik gerichtet.  Wir haben drei Kammern mit unterschiedlichem Registerwinddruck und ein dornartiges Kegelventil, das mit sehr langer Reise ausgestattet sein muss. In Verbindung mit der oben beschriebenen „dynamischen Klaviatur“ hat hier der Organist einen „riesigen Bereich“ die Pfeifen langsam ansprechen zu lassen. Dazu kommt die Möglichkeit einen stufenlos einzustellenden Wind in die Registerkanzelle (1) einfliessen zu lassen von vielleicht 10mm WS, in der Kanzelle (2) ist der Druck vielleicht 30 mm WS und in der letzten Registerkanzelle öffnet der Spieler erst spät mit 200mmWS. Eine ungeheure Dynamik, die aber gut intoniert sein will. Wer im Angesicht einer solchen Windlade noch von Mikrotonalität redet, der hat kein Wort verstanden: mit dieser Windlade in Verbindung mit der dynamischen Klaviatur sind alle nur denkbaren dynamischen Orgelklänge genauso gut möglich wie alle statischen Mikrotonalitäten. Nur muss im letzteren Fall begrenzt werden. Anders ausgedrückt: Man kann auf solch einer Windlade mit einer Pfeife mehrere Klangrealisationen bewerkstelligen. In diesem Fall koppelt man die Dynamik aus und richtet eben drei oder vier feste Einstellungen für das Ventil ein. Mit dieser Windlade möchte ich auch beweisen, dass Eberhard Friedrich Walcker die Kegellade nicht wegen irgendwelchen äußerlichen Gesichtspunkten erfunden und erwählt hatte, sondern, dass es ihm neben dem Gesichtspunkt des extremen Klimas vor allem darauf angekommen ist, ein dynamisches Windladensystem zu haben, bei dem durch Niederdrücken der Tasten feine Einschwingvorgänge manipuliert werden konnten im Gegensatz zur Schleiflade wo dies nicht so gemacht werden kann.

d)      Die sprechende Orgel zu spielen, das müsste am Ende heißen, die Orgel spricht Begriffe und ganze Sätze. Hierzu müssen wir leider den Weg der mechanischen Dynamik verlassen, da dies mit der herkömmlichen Mechanik nicht mehr machbar ist. Man muss dazu einfach auf die Elektronik zurückgreifen. Ein einfacher Eurokarten-PC reicht hier aus, um eine komplexe Literatur einzuspeichern. Man stelle sich vor, ein Orgelkonzert mit der Programmankündigung: „die Orgel liest heute Gedichte von Paul Celan“. Allerdings stellt sich gleich wieder die Frage, ob das nicht schon wieder ein Effekte-Schielen bedeutet und insgeheim die saubere Idee unterhöhlt.

e)       Weitere elektronische Ideen im Bereich der Mikroelektronik und des Internets habe ich in meinem Vortrag „Die Orgel im Informationszeitalter“ am 8.Mai 1997 beschrieben. Rückblickend kann aber gut und gerne gesagt werden, dass nicht ein Bruchteil der darin „beschworenen Technik“ realisiert wurde, da es keinen Menschen interessiert.

 

4. Die dynamische Orgel, das scheint mir ein ganz wesentlicher Aspekt, sie muss einen stufenlos von 250mm WS bis auf 0mmWS regulierbaren Gebläsemotor besitzen, was heute nur ein technischer „Klacks“ ist, aber bereits Steuerungs-Möglichkeiten auch dem konventionellen Orgelspielern in die Hand gibt, z.B. bei vollen und leeren Kirchen.Auf Knopfdruck hat man immer die Normalstellung von 140mmWS.

 

5. Bei Schwellkästen habe ich die Feststellung gemacht, dass MDF-Platten eine ungeheuer gute Schallschluckwirkung besitzen. Verwendet man einen „dynamischen Schwelltritt, wie ich diesen am 3.11. 1997 entwickelt habe , bei dem der Drehpunkt kontinuierlich versetzt wird, und dadurch bei den ersten Millimetern des „Schwelleröffnens“ weniger Gang gemacht wird, als beim späteren Zustand, wo der Schweller schon recht weit offen ist, so hat man wesentlich mehr Dynamik noch in Verbindung mit diesem guten Material.

 

Zusammenfassend möchte ich am Ende dieser Vorstellung festhalten : es ist möglich, weiter an unserer Orgel zu arbeiten und weiter neue Klänge und Möglichkeiten auszuschöpfen, denn nur damit erhalten wir das Instrument lebendig. Mit der Erstarrung töten wir es. Lebendigkeit oder Bewegung um seiner selbst willen ist aber genauso töricht. Daher gilt mein Appell weniger der orgelspielenden - oder bauenden Zunft, sondern vielmehr den Komponisten : helfen Sie uns die Orgel weiterzuentwickeln und am Leben zu halten.

 

Gerhard Walcker-Mayer

30.Mai 2004 Pfingsten