Kleine Geschichte der Modernen Orgel

Kleine Geschichte der modernen deutschen Orgel

Bekenntnisse eines Postmodernisten

Wir sind Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen. Wir können weiter sehen als unsere Ahnen und in dem Maß ist unser Wissen größer als das ihrige und doch wären wir nichts, würde uns die Summe ihres Wissens nicht den Weg weisen.

Die Moderne, die sich statt vom Mythos vom Logos leiten lässt, hat in dem Moment, wo das Numinose auftaucht, ein Problem. Und dies spüren wir bei der Geschichte der Modernen Orgel, die ja beide Seiten der Medaille, also Logos und Mythos zusammen zwingen will.

Dies ist noch nicht bei den Romantikern der Fall, die sich bedingungslos zum Mythos bekennen, und die den technologischen Fortschritt unkritisch akzeptieren und übernehmen konnten, wie Max Reger (1873-1916), der den fahrbaren elektrischen Spieltisch als äußerst bequeme Sache empfand.
Die Moderne, mit der wir es hier zu tun haben, hat nichts mit Mode und modern im Sinne von actualitas zu tun sondern dieser Begriff umschreibt einen Teil der europäischen Geschichte, die politisch mit der Aufklärung, dann der Franz. Revolution (1789) und der Literatur- und Kunstgeschichte ab dem 19.JH einher und vielleicht mit dem späten 20.JH zu Ende geht. Umstritten ist auch der Begriff der Postmoderne. Erst viel später wird einmal eine ferne Zeit unser gerade vergangenes Zeitalter mit einem Namen taufen, der vielleicht „klassische Moderne“ oder „Pseudo-Moderne“ sein wird.
Der Begriff „Moderne Orgel“, vielfach verwendet im letzten Jahrhundert, hat wie der der „Neuen Musik“ keine fest umrissene Grenzen. Einfacher wäre es also von der Orgel des 20. Jahrhunderts zu reden.
In der katholischen Kirche gab es um das Jahr 1900 Bestrebungen zwischen den Glaubenssätzen und dem wissenschaftlichen Denken zu vermitteln, was zu dem abfälligen Begriff des Modernismus geführt hat, ja sogar durch einen Antimodernisteneid bekämpft wurde. Wir sehen hieran, dass der Begriff des „Modernen“ gewissen Schwierigkeiten in der Kirche ausgesetzt ist, die wir als Diskussionsgegenstand so belassen wollen.
Würde man also von der Orgel eines klar umgrenzten Zeitraumes wie der des 20.Jahrhunderts reden, hätte die Auseinandersetzung um Ideen, die dahinter stehen keinen Platz mehr oder würden die zeitliche Festschreibung als Instrumente des kriegswütigen Europa und der Nachkriegsgeschichte eine besondere Farbnote bekommen. Auch weisen manche dieser Ideen weit über diesen engen Zeitbegriff hinaus.
Die Moderne Orgel soll, und das ist durchaus provokativ gemeint, aus der Perspektive der Postmodernen gesehen und analysiert werden. Wirkliches Wissen ist nach Vico, eine Form von ganzheitlichem Denken, und zwar eines ständigen Kreislaufs von Werden und Vergehen. Das geht nun mal nicht indem man Bücher auswendig lernt, sondern nur, indem man unter dem Gegenstand, den man erkennen will, leidet. Das „Leiden“ soll hier eine tiefer gehende Vokabel für „Erfassen“ sein, was sagen will, erlebt und nicht nur gelesen zu haben.
Für die Form der Darreichung, das gestehe ich nun gerne zu, sind dann Bücher oder andere Schriften erforderlich, da wir uns der Terminologie versichern müssen, um uns nach außen zu verständigen. Ohne das erlittene Erlebnis aber, wird dieses Wissen zur Papp-Leiche, die nur auf Faktizität und technische Details Bezug nimmt, aber das Leben außen vor lässt.
Die Moderne ist, wie die Moderne Orgel selbst , ohne die Romantik unvorstellbar.
Doch was heißt das? Dass auf Montag Dienstag folgt? Nein, es bedeutet nicht die historische Abfolge sondern es bedeutet, dass die Moderne teilweise ihren Grund in der Romantik findet. Einsteins Relativitätstheorie ist ohne Novalis und seinen Schriften, die er von 1792 bis etwa 1802 erstellte völlig unvorstellbar.
Genauso wie die Moderne Orgel, ein Begriff der noch zu klären sein wird, ohne das von Eberhard Friedrich Walcker eingebrachte Verständnis, dass die Orgeltechnik im Angesichte der großen Kathedralorgeln, und damit der Wiedergabe des Unendlichen, tief greifende technische Änderungen zu erfahren habe, nicht vorgestellt werden kann.
Die Diskussion „Schleiflade versus Kegellade“ lässt hierbei oft einen wesentlichen Ansatzpunkt außer Betracht, nämlich den Umstand, dass auch die französische romantische Orgel geschaffen von Aristide Cavaillé-Coll diesen Paradigmawechsel vollzogen hat. Hierzu ist besonders zu erwähnen die neuen großen Magazinbälge, die Barkerhebel und die differenzierten Winddrücke. Allerdings hatte Cavaillé-Coll den Vorteil die zehnjährige Vorbereitungsphase seines deutschen Kollegen Eberhard Friedrich Walcker’s gründlich studieren zu können, während Walcker keine vergleichbaren Instrumente erforschen konnte.
Der Begriff Moderne Orgel taucht immer dann vermehrt auf in der Literatur, wenn an Bruchstellen der geschichtlichen Entwicklung Neuentwicklungen gegenüber den Traditionen einkehren. Die Moderne Orgel, als einen alles umfassenden Begriff der eindeutige Beziehungen klärt, gibt es also nicht.
Wir erkennen in der nachfolgenden Liste von Buchtiteln, die nach Jahreszahl geordnet ist, im ersten Teil das pro, worunter die spätromantische Orgel wohl gerechnet werden kann, im zweiten, gelb unterlegten Teil das Contra gegen die spätromantische Orgel, wobei dann der Begriff Moderne Orgel umschlägt in die moderne Orgel der Orgelbewegung.
Die Nachkriegszeit hat dann diesen Begriff oft verwendet in dem Sinne, also ob Moderne Orgel ein technischer Begriff wäre, der von bestimmten Qualitätsmerkmalen geprägt sei.

Löw 1871 Ein Wort über moderne Orgelbaukunst
Gönner 1886 Elektromagnetismus in seiner Anwendung auf die moderne Orgel
Gottschalg 1886 Die moderne Orgel in orchestraler Behandlung
Dienel 1890 Die moderne Orgel
Luz 1892 Die moderne Orgel in ihrer Verwendung für die Bachsche Orgelmusik
Alihn 1896 Moderne Orgeldispositionen
Aichelin 1905 Moderne Orgelpfeifen
Ehrenhofer 1906 Eine interessante moderne Orgel
Richter, M 1906 Moderne Orgelspielanlagen in Wort und Bild
Enschedé 1907 Moderne orgel en Bach s orgelmuziek
Fink 1909 Die elektr. Orgeltraktur - Ein freies Wort über die moderne Orgel
Grabner 1912 Die moderne Orgel
Kehr 1912 Die moderne Orgel in wissenschaftlicher Beleuchtung
Löbmann 1915 Die moderne Orgel im katholischen Gottesdienst
Jahnn 1924 zum Kapitel "Gegen die moderne Orgel"
Ley 1924 Für die moderne Orgel
Drexler 1925 Für und gegen die moderne Orgel
Heilmann 1925 Gegen die moderne Orgel
Keller 1925 Für die moderne Orgel
Sauer,L 1925 Für die moderne Orgel
Schlecht 1925 Für und gegen die moderne Orgel
Zillinger 1925 Gegen die moderne Orgel
Rupp 1928 Alte oder moderne Orgel?
Richter,E 1929 Die moderne Orgelbewegung: wo stehen wir heute
Krießmann 1931 Die moderne Orgel in der katholischen Kirche
Widor 1931 Die moderne Orgel. Der Verfall im zeitgenössischen Orgelbau
Eigenmann 1932 Orgel der Vergangenheit - Moderne Orgel
Buschkühl 1950 Moderne Orgeln in Diaspora Hamburg
Högner 1953 Das Gesetz der Orgel - Max Reger und der moderne Orgelbau
Schneider 1955 Die moderne Orgel
Falcinelli 1956 Gedanken zum franz. Orgelbau - Aufbau der Modernen Orgel
Mayer 1962 Meinignen in Frankrijk over het moderne Orgel
Potvlieghe 1978 Antipodes in het moderne orgelmaken
Walcker-Mayer,W 1994 Der moderne Orgelbau im Hause Walcker
Hiltner-Hennenberg 1998 Die moderne Orgel setzt immer mehr auf Qualität
Laukvik 2004 Die moderne Orgel? - Stuttgart, Stiftskirche

Ein Umstand, der vielleicht Laukvik veranlasst hat ein ? hinter seiner modernen Orgel zu setzen.



Max Reger und die Moderne Orgel

Max Reger, um wieder auf diesen bedeutenden deutschen Komponisten zurück zu kommen, hat nach J.S.Bach das umfangreichste Orgelwerk aller Komponisten geschaffen. Und Regers Orgelmusik ist es, die wir heute im 21.Jahrhundert als ebenbürtig zu der Bachschen Orgelmusik hörend anerkennen.
Der bayrisch-katholische Reger, dessen Orgelmusik zu seiner Lebenszeit hauptsächlich von evangelischen Kirchenmusikern repräsentiert wird, allen voran von dem Thomaskantor Karl Straube hatte mit mehreren Walcker-Orgeln Kontakt. Mein Vater, Werner Walcker-Mayer hat in seinem Vortrag –Die Orgel der Reger-Zeit –fünf Dispositionen von Walcker-Orgeln und einer Sauer-Orgel vorgestellt.
Orgeln, die Max Reger teilweise gut kannte und die in jedem Falle mit seinem kompositorischen Schaffen verwoben sind, wobei die Orgel in Dortmund-Reinoldi wohl die wichtigste Orgel war, weil das die erste fünfmanualige Orgel in Deutschland war. Und es war das Vorzeige-Instrument der Elsässischen Bewegung, also bereits das Neue, welches zum Sprunge anstand, zu seiner Zeit eben die Moderne Orgel schlechthin.
Die Reinoldi-Orgel hatte 105 Register und war damit zur Erbauungszeit das größte Orgelwerk der Welt, diese wurde spätestens durch die Breslauer-Sauer-Orgel, Breslau-Jahrhunderthalle, gebaut und konstruiert von Paul Walcker 1912, als größtes Orgelwerk der Welt wieder abgelöst.
Es gibt und gab nie Reger-Orgeln, es gibt nur Karikaturen davon, oder man schließt, wie Friedemann Herz, dass die großen symphonischen Orgeln von Walcker, die das damalige Denken über den Orgelbau repräsentativ darstellen, deswegen in Verbindung mit dem Regerschen Schaffen stehen, da an ihnen die Organisten wirkten, die technisch in der Lage waren, diese enorm schwierigen Stücke zu spielen.

Max Richter schreibt im Vorwort seines Buches „Moderne Orgelspiel-Anlage in Wort und Bild“: Mit dem Beginn des 20.Jahrhunderts hat sich im Orgelbau ein mächtiger Umschwung vollzogen: man verließ das System der mechanischen Spielbarkeit einer Orgel und ging zur sogenannten reinen Pneumatik über.“ und er begründet im weiteren Verlauf des Textes die Verfassung seiner Schrift damit, dem Orgelspieler eine Anleitung für die Spieltische dieser Modernen Orgeln an die Hand geben zu wollen, in der Hoffnung zur Hebung des Orgelspiels beizutragen.
Es sind nicht einfach nur ein belanglose technische Details, welche die moderne Orgel auszeichnet, und was die deutschen Orgeln dieser Zeit 1870-1920 gegenüber den französischen Instrumenten markieren. Ohne an Reger zu denken, würde man ohnehin diese ganze Epoche nicht verstehen.
Wir sehen am nachfolgenden Beispiel und überhaupt in der ganzen Breite seiner Schrift von Albert Schweitzer, wo jener bestimmten Vorrichtungen der französischen Orgel den Vorzug gibt, Positionen, die heute unverständlich sind, weil man mit der digitalen Elektronik eben alles totschlagen kann. Doch wer hier irrigerweise meint, das Thema sei zu Ende diskutiert, der hat den Widerstreit Mythos == Logos, den ich eingangs beiläufig erwähnt habe, nicht ernst genug genommen. Denn dieser Streit über das Thema „Modern – Tradition“ ist deswegen darüber völlig erhaben, weil es ein Thema des unendlichen Lebens ist. Weil das Leben ohne diesen Streit nicht auskommt. Das Wellental des „Kommenden“ und „Gehenden“ ist es, was wir heute sehen, wenn wir zurück in die Geschichte blicken, und dort in diesem Lande sehen wir kein einziges ehernes Gesetzt, das alle Zeiten überlebt hat.
Albert Schweitzer zeichnet diese Auseinandersetzung zwischen dem französischen und deutschen Standpunkt deutlich nach, wenn wieder einmal Widor zum fünfundzwanzigsten Male von derselben Sache anfängt: „Sagen Sie doch meinem Freund Professor Münch in Straßburg, er soll mir eine Stelle in einem Bachschen Präludium oder in einer Fuge aufzeigen, wo er im richtigen Augenblicke eine Hand frei hat, um nach einem Druckknopf zu greifen!“ Was uns zeigt, dass zwischen der deutschen Moderne und jener in Frankreich, wenn man überhaupt jetzt noch mit dieser Terminologie arbeiten darf, reinste Ideologie en miniature sein kann. Überhaupt ist die Auffassung wie ein Spieltisch gestaltet sein muss, abgesehen von seiner Ergonomie, gerade in jener Zeit so heftig und unversöhnlich diskutiert worden, dass man sich oft fragt, ob denn für wichtige Sachen dann noch Zeit war.



Die Orgelbewegung

Der Weltkrieg beendet die Diskussion und stellt nun offiziell die Gegnerschaft von Franzosen und Deutschen fest. Das „Zwischen“ der Elsässer hat sich in einigen Orgeln niedergeschlagen. Ich weiß micht, ob in Frankreich weitere Orgeln der elsässischen Bewegung existieren, außer der Orgel in Straßburg, Peter und Paul, wo Rupp nach dem Krieg mit Mutin noch bis 1934 in diesem Sinne arbeitete. Aber mit Sicherheit wäre es falsch, die neudeutsche Bewegung als Ahne der Orgelbewegung zu sehen. Denn Schweitzer sah die Bestrebungen der Orgelbewegung und ihre Orientierung am Instrument vor 1700 sehr kritisch. Stationen der Orgelbewegung waren:1921 Bau der Praetoriusorgel1925 Organistentagung in Hamburg, von Hans Henny Jahnn organisiert1926 Freiburger Tagung für Deutsche Orgelkunst 1927 Dritte Tagung für Deutsche Orgelkunst Freiberg1928 Tagung für Orgelbau, Berlin1938 Zweite Freiburger Tagung für Deutsche Orgelkunst
In dieser letzten Tagung 1938, die natürlich schon stark in den naziverbalen Sprachkosmos eingebunden war, wurde Walter Supper mit Auftrag ausgestattet eine nächste Orgeltagung auszurichten, was er 1951 dann auch tat.
Allein der Umstand, dass man eine aus dem Kulturverlangen eines Volkes herausgewachsenen Blüte, wie die der romantischen Orgelmusik, eine regressive, von Musikwissenschaftlern und Theologen geplante Bewegung entgegensetzte, was dann zum Ende hin mit der Nazidiktatur und ihrer staatlichen Gewalt fürchterliches Gedankengut in den Orgelbau hereinschwemmte, macht es uns heute schwer diese Orgelbewegung positiv zu bewerten. Der ganze nazistische Begriffskomos erlangte in der Orgelbewegung seine üble Gestaltungskraft die bis in die letzten Tage von Walter Supper in der Gesellschaft der Orgelfreunde seine originäre Unschönheit bewahrt hat. Wir machen es uns heute schwer, indem wir alles aus dieser Zeit zuerst einmal unter dem Mikroskop der „Naziteilhabe“ klinisch sterilisiert untersuchen. Und nach dieser „Chemotherapie“ bleibt nichts mehr von der Ästhetik übrig. Am Schlimmsten gar, verurteilen wir noch die Versuche nach dem Zweiten Weltkrieg diese Orgelbewegung zu konservieren. Fast hat man den Verdacht einer Neonazivereinigung aufzuliegen, würde man Gedankengut der Orgelbewegung neu zitieren.
Eine Trauma war nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg, „alles Romantische“ als widerlegt zu sehen und dabei alle Orgeln aus der Schaffensperiode vor und nach dem I.Weltkrieg umzubauen oder gleich komplett zu zerstören. Anstatt die offensichtliche Übereinstimmung von Orgelbewegung und der Bewegung der Nazis als kongruent zu sehen, wie wir das heute sehen können, hat man auf alles eingedroschen, was mit König, Kaiser, Max Reger und Taschenlade imaginiert werden konnte, in der Meinung, das Alte sei „schuldig“. Nur das ganz „Alte“, hinter den Hügeln des Barocks, sei noch etwas „unschuldig“. Praetorius und Bach, soviel wussten wir wenigsten in den 50er Jahren, die konnten noch nichts für Auschwitz.
Die Orgelbewegung bekämpfte das Orgelideal der Romantik, weil hier das weltliche Orchester in den Kultraum der Kirchen Einzug hielt, was als Niedergang der Orgelbaukunst empfunden wurde. Weil hier der Übergang von Kult- zur Konzertorgel stattfand. Dabei spielt auch später bei den Nazis eine Rolle diese Orgel kultisch zu gebrauchen.
Eggebrecht spricht von einer historischen Schuld der Orgelbewegung. Er kritisierte die enge Verbindung der Orgelbewegung mit anderen Bewegungen, so der gleichzeitig stattfindenden liturgischen Bewegung, was zu einer einseitigen Auffassung von Orgel als Kultinstrument führte. Aber Eggebrecht ist Schüler von Gurlitt, er tritt ihm nicht zu nahe.
Mein Hintergedanke bei Beurteilung der Orgelbewegung ist, dass es sich primär um eine Zerstörungsbewegung handelt. Wir können das sehen in der Zerstörung aller nach dem Zweiten Weltkrieg übrig gebliebenen Orgeln in Deutschland, die bestimmte Geschmacksrichtungen aufwiesen, die man nicht tolerieren wollte, wie die der Michaeliskirche in Hamburg. Und auch heute an Instrumenten wie in Reinoldi, Dortmund, wo immer noch die Bewegung marschiert. In Form eines irregeleiteten Organisten, der den einen oder anderen Mitläufer mitlaufen lässt, der aber ganz unbeirrt daran festhält, dass eine der schönst klingenden Orgeln des Landes zerstört werden muss. Das ist sein primäres Credo – und das ist Nazismus und Narzismus zugleich.



Die moderne Orgel nach 45

Atonale Musik ist gegen Gott, so Friedrich Blume, der spätere Herausgeber der „Musik in Geschichte und Gegenwart“, der damit ein entscheidendes Argument der verfurzten 50er Jahre in den Mund nimmt und der damit einer kleinen, manchmal leicht angebräunten Verein von Orgelkomponisten den Vorzug zu geben scheint:Ernst Pepping (1901-1981)Johann Nepomuk David (1895-1977)Hugo Distler (1908-1942)Siegfried Reda (1916-1968)Helmut Bornefeld (1921-1990)Johannes Driessler (1921-1998)Hermann Schröder(1904-1984)Joseph Ahrens (1904-1988)Harald Genzmer (1904-2007) Eine Ausnahme stellt wohl Paul Hindemith (1895-1963) dar, der weder zur Orgelbewegung noch zur Orgelromantik gezählt werden kann, und der von Gurlitt an Oscar Walcker als ein kommendes Genie empfohlen wurde. Hindemith, der mit Gottfried Benn in Briefwechsel stand, schrieb 1937 drei Orgelsonaten und 1962 Concerto for organ and Orchestra, und war in den 20er Jahren ein führender Avantgardist, geriet schließlich mit den Nazis und ihrem Kulturterror in Konflikt und emigrierte 1938 in die USA, nachdem seine Musik als entartet abgestempelt wurde.



Eckpunkte der 1950er und 60erJahre

1949 spielte Michael Schneider Arnold Schönberg op.40 in Kranichstein1953 spielte Olivier Messiaen seine Uraufführung Livre d’Orgue auf der gerade neu eingebauten Walcker-Orgel in der Villa-Berg in Stuttgart1955 spielte Gaston Litaize Messiaen, Helmut Walcha hört erschreckt zu: nun ist neben Max Reger ein weiterer Komponist von seinen Lehrveranstaltungen ausgeschlossen1961 György Ligeti komponierte Volumina, revidiert 1966, was im Bremer Dom uraufgeführt werden sollte, aber wegen fehlerhaften Informationen dann verschoben wurde1961 Mauricio Kagel komponiert Phantasie für Orgel mit Obbligati1962 Bengt Hambraeus komponiert Interferenzen1966 Schnebel komponiert Choralvorspiele I und II (Orgel+Tonband)1976 Pärt komponiert Pari intervallo1980 Riehm komponiert Bann, Nachtschwärmerei i.A. der Walcker-Stiftung



Komponisten ab den 1960erJahren

Ligety, György Ricercare (1957), Volumina (1961 – red.1966) , zwei Etüden für Orgel (Harmonies /Couleé) (1967/69)Xenakis, Iannis (1922 -2001) Gmeeoorh (1974) versionen für 56 und 61 TastenYun, Isan (1917-1995) Tuyaux sonores (1967), Fragment (1975)Zacher, Gerd (1929) Diferencias (1961), Trio (1961), Das Gebet Jonas (1964), Realisation über Cage’s Variationes, Szmaty (1968), Die Kunst einer Fuge – Bach Contrapunctus I in 10 Interpretationen (1969),Orumambel und Orpordulayglia für Orgel und Tonband (1972) Hommecage a John Age (1986) 75 eventualities für Orgel und Tonband (1987), Trapez in memoriuam Hans Henny Jahnn (1993)Schnebel, Dieter *1930, Zwischenfugen (1985), Toccata mit Fugen für große Orgel (1996)Heinz Wunderlich, *1919, Fuga variata (1943), Partita“Macht hoch die Tür“ (1946), Mixolydische Toccata (1947), Orgelsonate über ein Thema (1956), Sonata Tremulanda Hiroshima (1984) Pärt, Arvo, *1935, Pari intervallo (1976), Trivium (1976), Annum per Annum (1980), Mein Weg hat Gipfel und Wellentäler (1989)Szathmáry, Zsigmond (1939) Dialogue I (1971), Mixtur (1974, Work in progress für 4 Orgeln (1987), B-A-C-H (1990) , Feuertaufe (2004), Moving colours (2006)Welin, Karl-Erik (1934-1992) Introduktion und Fugue (1956), hommage á (1969) Improvisation (1969)Allende-Blin, Juan (1928) Transformations II (1952), Échelons (1962), Mein blaues Klavier für Orgel (1969)Rihm, Wolfgang (1952) Contemplatio (1967), 3 Fantasien (1967) Bann, Nachtschwärmerei (1980), Siebengestalt für Orgel und Tamtam (1974), Unbenannt IV für Orchester mit Orgel (2004)

Die Walcker-Stiftung und happenings

Als ein wichtiges Ereignis des Orgelgeschehens nach dem Zweiten Weltkrieg, das direkt und unmittelbar von einem Orgelbauunternehmen veranlasst wurde, war die Gründung der Walcker-Stiftung für orgelwissenschaftliche Forschung, was mein Vater 1967 veranlasst hat und das unmittelbar mit seinem Namen verbunden ist.
Hier bei der Walcker-Stiftung verlief der Gründungsvorgang etwas anders als bei Oscar Walcker’s Bau der Praetorius-Orgel im Jahr 1921. Damals war Prof. Gurlitt das treibende Elemente, während bei der Gründung der Walcker-Stiftung die Initiative vom Orgelbauer aus ging, der den Professor in Freiburg befragte. Natürlich stand auch hier zunächst ein wirtschaftlicher Aspekt im Mittelpunkt des Interesses. Aber schon während der brieflichen Auseinandersetzung mit Prof. Eggebrecht in dieser Gründungsphase gewann das Unternehmen für meinen Vater großes Interesse.
Der Verlauf der Colloquien zeigt deutlich wie in dieser zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts Orgelentwicklungen aus einer speziellen Perspektive gesehen wurde. Das war nicht die Perspektive des gesamten Deutschen Orgelbaus, sondern es war einesteils die Sicht von Eggebrecht und den geladenen Gästen und anderenteils die Wahrnehmung eines Orgelbauers.

Es gab insgesamt 9 Colloquien und ein Symposium am Ende in Budapest.

    Jahr Schrift
1. Thurner/Schwarzwald 1968 Orgel und Orgelmusik heute
2. Freiburg 1972 Zur Terminologie der Musik des 20. Jahrhunderts
3. Sinzig 1974 Orgel im Gottesdienst heute
4. Murrhardt 1980 Orgelmusik im Vakuum zwischen Avandgardismus und Historismus
5. Göttweig 1983 Orgel und Ideologie
6. Rom 1984 Die Orgel im Dienst der Kirche
7. Berlin 1988 Berliner Orgel-Colloquium
8. Frankfurt/Oder 1992 Die Orgel in Ostdeutschland und in Polen
9. Strasbourg 1994 Die elsässische Orgelreform
  Budapest 1994 Intern. Symposium "Orgel der klassischen Antike"

Im Jahre 1968 wurde der Bericht über das erste Colloquium der Walcker-Stiftung für orgelwissenschaftliche Forschung herausgegeben. Als wichtige Repräsentanten der Modernen Orgelmusik waren hier, teilweise noch völlig unbekannt, Gerd Zacher, György Ligeti, Dr. Wolfgang Metzler, Prof. Dr. Klotz, Prof. Dr. Dahlhaus, Dr.Elmar Budde und Reimund Böhmig. Aus diesem ersten Band „Orgel- und Orgelmusik heute“ da spricht eine unheimliche Begeisterung und Spielfreunde mit dem angebotenen Material, aus den Worten der Orgelspieler und Komponisten. So waren die 1968er Jahre eben auch. Der Blick war auf eine großartige Zukunft gerichtet, wo man neue gestalterische Ideen positiv und unvorbelastet an sich rankommen ließ.
Gerd Zacher hielt einen Vortrag „Zur Orgelmusik seit 1960“ und beschreibt dabei seine Interpretationen von Messiaen’s Livre d’orgue über Ligeti’s Volumina, Kagel’s Improvisation ajoutée, und Bent Hambraeus’ Interferenser. Dann erläutert er einige seiner Kompositionen. Und ich erinnere mich, dass all diese Dingen gegen Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre in gut besuchten Konzerte auch in Stuttgart gehört und gesehen zu haben.
Fraglos, man ging alle zwei Wochen in ein Konzert, da standen Tonbänder, die wie bei Kagel Alltagsgeräusche von sich gaben, dann spielte die Orgel, da klatschte plötzlich oben auf der Empore einer in die Hände oder schrie, und in der anderen Ecke trompetete unvermutet ein Instrument los.
Bei einer Orgeltagung in Hannover wurde Ligeti’s Volumina aufgeführt was heftige Reaktionen hervorrief. Bei Pendereckis „Teufel von Ludon“ waren in einer Oper halbnackte Nonnen zu sehen, was einen Riesen Skandal auslöste. Uns hat’s gefallen.
Es gab Junge und Alte, und alles wollte jung sein.
Diese riesige Bandbreite an Aktionen, es war dauerte nur eine relativ kurze Spanne.
Bald jedes Wochenende besuchte man irgendein Happening oder wurde von einer Galerie zur Vernissage eingeladen. Wo etwas total Verrücktes passierte, und sei es nur, dass die Malerin nackt mit rot bemaltem Körper durch die Reihen der Gäste sich durchprostete, zu den Klängen von Jimmy Hendricks Gitarre, die ein schwarzer Musiker im Hintergrund schlug.
Es war nach 1975 nichts mehr davon zu sehen und zu hören. Der Spuk war vorüber.
Der Begriff „Modern“ begann sich mehr und mehr zu verdunkeln.

Sinzig

Ein Orgelprojekt schaffte es aus theoretischen Überlegungen in die Praxis. Es war die Leistung des Organisten Peter Bares, der diese großartige Orgel erschuf. Ich selbst war an dieser Orgel gründlich beteiligt und kann mit ruhigem Gewissen sagen, dass sie keiner besonders guten Qualität unterliegt. Und weil alles viel zu eng aneinandergebaut wurde, ist diese typisch barock gestaltete Orgel kaum stimmbar.
Mit Bares habe ich mich sehr oft auseinandergesetzt, auch als er längst aus dieser Kirche verbannt worden war. Seine Einstellung zur Orgelmusik ist zutiefst einer „barocken“ Seele entsprungen, und nur von diesem Boden der Klassik aus, ist eine solche „Moderne Orgel“ möglich.
Mir ist bis heute noch nicht klar, ob es sich bei dieser Orgel um einen riesigen Scherzartikel handelt, der sich besser in einem Zirkus aufgehoben fühlen würde, oder ob die Orgelmusik ganz allgemein von derlei Entwicklungen befruchtet wurde, was man einfach momentan nicht erkennen kann.
Sicher aber ist, dass die Tagung in Sinzig 1974 auf mich einen umwerfenden Eindruck gemacht hat, was vor allem dem Organisten Zsigmond Szathmary zu verdanken war.
Als er mit seiner japanischen Frau die ersten Proben zu „Mixtur“ einspielte, war ich als Orgelbauer zum Helfen abgestellt, und ich war vollkommen fasziniert von den Klängen, die er dieser Orgel entlockte. Das spätere Konzert war für mich bis in heute Tage eine Offenbarung.
Die Sinziger Orgel war teilweise Grundlage für die Gestaltung der Orgel im Warschauer Konservatorium, was allerdings bei den meisten Professoren dort strikt abgelehnt wurde.
Wie überhaupt alle Bemühungen von meinem Vater und von Peter Bares diese Ideen weiter zu tragen, kümmerlich endeten. Selbst die Peter-Orgel in Köln St. Peter macht mit den wenigen neuen Ideen, die sie präsentierte, einen recht schlappen Eindruck.
Der Grund ist recht einfach zu finden.

Ausklang : was ist modern?

Modern heißt auf eine lineare Entwicklung hin zu schaffen. Den Idealzustand den man aus philosophischer Sicht zu erreichen gedenkt, es liegt noch in den Wurzeln des Christentums begraben, es ist die Stadt „Jerusalem“ = den Idealzustand, das Jenseits.
Dahin ist dann jeder Schritt eben nur ein Schritt, und man wartet bereits auf den nächsten, während z.B. bei einer ausdrücklich nicht „modern“ gehaltenen Entwicklung kein „Fortschritt“ imaginiert wird. So wie wir das im heutigen Postmodernismus denken.
Wir akzeptieren dann bewusst, dass eine unterentwickelte Variante auch Zugang zum schöpferischen Kreislauf erhält.
Echter Pluralismus kennt nur ein wichtiges Gebot und das ist Toleranz, und damit liegen die heutigen Möglichkeiten des Schaffens völlig quer zu dieser Sinziger Orgel, die nach immer weiterer Verdichtung schreit.
Wir wollen nicht Ideale schaffen sondern Zustände der Erträglichkeit.
Ein gewisses Symbol für diesen Wandel ist das obamasche „Change“ gegen die lineare Linie des Doublejou.

Gerhard Walcker-Mayer 18.01.2009